Gedichte

In nur vier Zeilen

In nur vier Zeilen was zu sagen,
erscheint zwar leicht, doch es ist schwer!
Man braucht ja nur mal nachzuschlagen:
die meisten Dichter brauchten mehr...
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Wenn dir ein Fels vom Herzen fällt,
so fällt er auf den Fuß dir prompt!
So ist es nun mal auf der Welt:
ein Kummer geht, ein Kummer kommt ...
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"Ich hol’ vom Himmel dir die Sterne",
so schwören wir den Frauen gerne.
Doch nur am Anfang! Später holen
wir nicht mal aus dem Keller Kohlen.
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Voller Sanftmut sind die Mienen
und voll Güte ist die Seele,
sie sind stets bereit zu dienen,
deshalb nennt man sie Kamele.
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Ein Naßhorn und ein Trockenhorn
spazierten durch die Wüste,
da stolperte das Trockenhorn,
unds Naßhorn sagte:"Siehste!"
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Ich finde solche, die von ihrem Geld erzählen
und solche, die mit ihrem Geiste protzen
und solche, die erst beten und dann stehlen,
ich finde solche, Sie verzeihn, zum Kotzen.
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Es soll manchen Dichter geben,
der muß dichten um zu leben.
Ist das immer so? Mitnichten,
manche leben, um zu dichten.
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Wenn die Opern dich umbrausen
mit Getön,
dann genieße auch die Pausen:
sie sind schön.
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Nach Schluß der langen Oper hörte
ich neulich folgende Kritik:
"Was mich an dieser Oper störte,
das war der Schwan und die Musik!"
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Ich kann’s bis heute nicht verwinden,
deshalb erzähl’ ich’s auch nicht gern:
den Stein der Weisen wollt’ ich finden
und fand nicht mal des Pudels Kern.
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Kaum, daß auf diese Welt du kamst,
zur Schule gingst, die Gattin nahmst,
dir Kinder, Geld und Gut erwarbst
schon liegst du unten, weil du starbst.
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Die Arbeit ist oft unbequem,
die Faulheit ist es nicht, trotzdem:
der kleinste Ehrgeiz, hat man ihn,
ist stets der Faulheit vorzuziehn!
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Du mußt dich zu sehr vielen Dingen,
willst du sie tun, geradzu zwingen!
trotzdem wirkt das was dir gelungen
oft zwingend leicht und ungezwungen.
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Wenngleich die Nas, ob spitz, ob platt,
zwei Flügel - Nasenflügel - hat,
so hält sie doch nicht viel vom Fliegen;
das Laufen scheint ihr mehr zu liegen.
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Sie reichten Weine mir und Bier
und Schnäpse und dergleichen
dabei könn’n diese Leute mir
nicht mal das Wasser reichen!

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Kunterbuntes

Ein kleines Steinchen rollte munter
Von einem hohen Berg herunter.
Und als es durch den Schnee so rollte,
Ward es viel größer als es wollte.
Da sprach der Stein mit stolzer Miene:
′ Jetzt bin ich eine Schneelawine′ .
Er riß im Rollen noch ein Haus
Und sieben große Bäume aus.
Dann rollte er ins Meer hinein,
Und dort versank der kleine Stein.

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Wirklich, er war unentbehrlich!
Überall, wo was geschah
Zu dem Wohle der Gemeinde,
Er war tätig, er war da.

Schützenfest, Kasinobälle,
Pferderennen, Preisgericht,
Liedertafel, Spritzenprobe,
Ohne ihn, da ging es nicht.

Ohne ihn war nichts zu machen,
Keine Stunde hatt' er frei.
Gestern, als sie ihn begruben,
War er - richtig - auch dabei.

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Der Menschheit größter Hochgenuss
ist ohne Zweifel wohl der Kuss.
Er ist beliebt, er macht vergnügt,
ob man ihn gibt, ob man ihn kriegt.
Er kostet nichts, ist unverbindlich
und er vollzieht sich immer mündlich.

Hat man die Absicht, dass man küsst,
so muss man erst mit Macht und List
den Abstand zu verringern trachten
und dann mit Blicken zärtlich schmachten.
Die Blicke werden tief und tiefer,
es nähern sich die Unterkiefer.
man pflegt dann mit geschloss'nen Augen
sich aneinander festzusaugen.
Jedoch nicht nur der Mund allein
braucht eines Kusses Ziel zu sein.

Man küsst die Wange und die Hände
und auch noch and're Gegenstände,
die ringsherum mit Vorbedacht
sämtlich am Körper angebracht.
Auch wie man küsst, das ist verschieden
Im Norden, Osten, Westen, Süden.
So mit Bedacht und mit Gefühl,
der eine heiß, der and're kühl.
Der eine haucht, der and're schmatzt,
als ob ein alter Reifen platzt.

Hingegen wiederum der Keusche
vermeidet jegliche Geräusche.
Der eine kurz, der and're länger,
den längsten nennt man Dauerbrenner.

Ein Kuss ist, wenn zwei Lippenlappen
in Liebe aufeinanderklappen
und dabei ein Geräusch entsteht,
als wenn die Kuh durch Matsche geht.

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Einsam irr ich durch die Gassen,
durch den Regen, durch die Nacht.
Warum hast du mich verlassen,
warum hast du das gemacht?
Nichts bleibt mir als mich zu grämen,
gestern sprang ich in den Bach.
Um das Leben mir zu nehmen,
doch der Bach war viel zu flach.

Einsam irr ich durch den Regen,
und ganz feucht ist mein Gesicht.
Nicht allein des Regens wegen,
nein, davon alleine nicht.
Wo bleibt Tod im schwarzen Kleide,
wo bleibt Tod und tötet mich?
Oder besser noch uns beide.
Oder besser, erstmal dich.

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Es war einmal ein altes Schloss,
und Kunibert, so hieß der Boss.
Er hatte Mägde, hatte Knechte,
und eine Frau, das war das Schlechte.

Ihr Mund war breit, ihr Hals war lang,
und es klang scheusslich, wenn sie sang!
Drum zielte er mit Korn und Kimme,
und Wut auf sie, das war das Schlimme.

Es machte bumm, natürlich lauter,
da viel sie um, zum Himmel schaut er,
und spricht, das Auge voll Gewässer:
Vielleicht singt se da oben besser!

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Ich muß das wirklich mal betonen:
Ganz früher waren die Zitronen
(ich weiß nur nicht genau mehr, wann dies
gewesen ist) so süß wie Kandis.

Bis sie einst sprachen: "Wir Zitronen,
wir wollen groß sein wie Melonen!
Auch finden wir das Gelb abscheulich,
wir wollen rot sein oder bläulich!"

Gott hörte oben die Beschwerden
und sagte: "Daraus kann nichts werden!
Ihr müßt so bleiben! Ich bedauer!"
Da wurden die Zitronen sauer.

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Ein Mensch, nicht wissend von "Mormone"
Schaut deshalb nach im Lexikone
Und hätt es dort auch rasch gefunden -
jedoch er weiß, nach drei, vier Stunden
Von den Mormonen keine Silbe -
Dafür fast alles von der Milbe,
von Mississippi, Mohr und Maus:
Im ganzen "M" kennt er sich aus.
Auch was ihn sonst gekümmert nie,
Physik zum Beispiel und Chemie,
Liest er jetzt nach, es fesselt ihn:
Was ist das: Monochloramin?
"Such unter Hydrazin", steht da.
Schon greift der Mensch zum Bande "H"
Und schlägt so eine neue Brücke
Zu ungeahntem Wissensglücke.
Jäh fällt ihm ein bei den Hormonen
Er sucht ja eigentlich: Mormonen!
Er blättert müd und überwacht:
Mann, Morpheus, Mohn und Mitternacht.
Hätt weiter noch geschmökert gern,
Kam bloß noch bis zum Morgenstern
Und da verneigte er sich tief
Noch vor dem Dichter - und - entschlief.

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Ein Mensch, mit furchtbar vielen Sachen,
will eines Tages Ordnung machen.
Doch dazu muss er sich bequemen,
Unordnung erst in Kauf zu nehmen:
Auf Tisch, Stuhl, Flügel, Fensterbrettern
ruhn ganze Hügel bald von Blättern.
Denn will man Bücher, Bilder, Schriften
in die gemäße Strömung driften,
muss man zurückgehn zu den Quellen,
um Gleiches Gleichem zu gesellen.
Für solche Taten reicht nicht immer
das eine, kleine Arbeitszimmer:
Schon ziehn durchs ganze Haus die kühnen
papierig-staubigen Wanderdünen,
und trotzen allem Spott und Hassen
durch strenge Zettel: Liegen lassen!
Nur scheinbar wahllos ist verstreut,
was schon als Ordnungszelle freut;
doch will ein widerspenstig Päckchen
nicht in des sanften Zwanges Jäckchen.
Der Mensch, der schon so viel gekramt,
an diesem Pack ist er erlahmt.
Er bricht, vor der Vollendung knapp,
das große Unternehmen ab,
verräumt, nur dass er auch wo liegt,
den ganzen Wust: Das Chaos siegt!

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Der weise Schopenhauer spricht –
Und gern betret’ ich seine Spur:
»Ein jedes Menschen Angesicht
Ist ein Gedanke der Natur.«

Es folgt daraus das Eine nur,
Wenn man dem Worte Glauben schenkt:
Dass auch die ewige Natur
Mehr Dummes als Gescheites denkt.

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Das Zahnweh, subjektiv genommen,
ist ohne Zweifel unwillkommen;
doch hat's die gute Eigenschaft,
dass sich dabei die Lebenskraft,
die man nach außen oft verschwendet,
auf einen Punkt nach innen wendet
und hier energisch konzentriert.
Kaum wird der erste Stich verspürt,
kaum fühlt man das bekannte Bohren,
das Zucken, Rucken und Rumoren,
und aus ist's mit der Weltgeschichte,
vergessen sind die Kursberichte,
die Steuern und das Einmaleins,
kurz, jede Form gewohnten Seins,
die sonst real erscheint und wichtig,
wird plötzlich wesenlos und nichtig.
Ja, selbst die alte Liebe rostet,
man weiß nicht, was die Butter kostet,
denn einzig in der engen Höhle
des Backenzahnes weilt die Seele,
und unter Toben und Gesaus
reift der Entschluss: Er muss heraus!

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Zum Zahnarzt kam jüngst ein Skelett
und bat ihn höflich und sehr nett,
ihm gründlich in den Mund zu spähen
und sein Gebiss mal anzusehen.

Der Zahnarzt folgte dieser Bitte
und sprach: "Die Zähne vorn und in der Mitte
sind gut, doch sag‘ ich mit Bedacht:
Das Zahnfleisch ist‘s, was Sorgen macht."

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Ein Adlermädchen auf dem Baum sehnt sich nach einem Mann,
mit dem es bald in einem Nest ein Junges großziehen kann.
Da sieht sie einen Adlermann hoch oben überm Forst,
doch leider ist der Gute schwul, er will zu seinem Horst.

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Ein Mann, im Schlepptau ein paar Frauen,
um kräftig auf den Putz zu hauen,
bestieg in Vorfreude den Flieger.
Fühlte sich schon als erster Sieger.

Die Damen, die er aufgelesen,
warn ziemlich schlicht in ihrem Wesen.
Gerade passend für die Wonnen
die er sich vorher hat ersonnen.

Am Zielort angekommen dann
bemerkte eine irgendwann,
dass ihr ein wenig unwohl sei.
Ihm war das jetzt noch einerlei.

Doch plagt die nächste dann Migräne.
Die dritte hatte wehe Zähne.
Von seinen Plänen blieb nichts mehr,
zumal im Schritt es juckte sehr.

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Ein Mann, voll Sehnsucht nach der Ferne,
gab dieser nach nur allzu gerne.
Dann, auf der Insel angekommen
entdeckte er, zunächst verschwommen,
das Heimat nicht nur ist ein Wort.
Zurück dachte er an den Ort,
von dem er grade abgeflogen.
Was hatte ihn denn bloß bewogen?

Jetzt fühlt er fremd sich in der Fremde
und gar nicht wohl im bunten Hemde.
Nahm kurzentschlossen seine Sachen,
wollt nie mehr solche Dinge machen.
Zuhaus jedoch, nach langem Flug,
war ihm die Heimat nicht genug.
Der Mann, voll Sehnsucht nach der Ferne,
gab dieser nach nur allzu gerne ... (weiter auf Zeile 3)

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Trilogie

Zwei Knaben stiegen auf einen Gletscher,
sie wurden matsch und immer mätscher.
Da sprach der Matschere zum Matschen:
Komm, lass uns wieder runterlatschen.

Zwei Knaben zogen an den Nil,
den andren fraß ein Krokodil.
Der eine starb am Fieber,
drum geh nicht hin, mein Lieber!

Zwei Knaben gaben sich einen Kuss,
der eine, der hieß Julius,
der andere hieß Gretchen,
ich glaub, das war ein Mädchen!

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Der Morgen graut, wir sind die Letzten,
die immer noch ganz munter festen.
Dies lasst ins Gästebuch uns schreiben,
und dann noch drei, vier Stunden bleiben.

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Epitaph als Epilog

Hier ruhen siebenundzwanzig Jungfrauen aus Stralsund,
Denen ward des Dichters neueste Dichtung kund.
Die hat die empfindsamen Mädchenherzen so sehr begeistert,
Dass auch nicht eine mehr ihr Gefühl gemeistert.
Man hängte sich teils auf, teils ging man in die See.
Nur eine ging zum Dichter selbst. (Und zwar aufs Kanapee.)

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Christian Morgenstern (1871-1914)

Der Flügelflagel gaustert 
durchs Wiruwaruwolz, 
die rote Fingur plaustert, 
und grausig gutzt der Golz.

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Widersprüchliches

Dunkel wars, der Mond schien helle, 
schneebedeckt die grüne Flur, 
als ein Auto blitzesschnelle 
langsam um die Ecke fuhr.

Drinnen saßen stehend Leute 
schweigend ins Gespräch vertieft 
als ein totgeschoss'ner Hase 
auf der Sandbank Schlittschuh lief.

Und der Wagen fuhr im Trabe 
rückwärts einen Berg hinauf. 
Droben zog ein alter Rabe 
grade eine Turmuhr auf.

Ringsumher herrscht tiefes Schweigen 
und mit fürchterlichem Krach 
spielen in des Grases Zweigen 
zwei Kamele lautlos Schach.

Und auf einer roten Bank, 
die blau angestrichen war 
saß ein blond gelockter Jüngling 
mit kohlrabenschwarzem Haar.

Neben ihm 'ne alte Schrulle, 
die kaum siebzehn Jahr alt war, 
in der Hand ne Butterstulle, 
die mit Schmalz bestrichen war.

Oben auf dem Apfelbaume, 
der sehr süße Birnen trug, 
hing des Frühlings letzte Pflaume 
und an Nüssen noch genug.

Von der regennassen Straße 
wirbelte der Staub empor. 
Und ein Junge bei der Hitze 
mächtig an den Ohren fror.

Beide Hände in den Taschen 
hielt er sich die Augen zu. 
Denn er konnte nicht ertragen, 
wie nach Veilchen roch die Kuh.

Und zwei Fische liefen munter 
durch das blaue Kornfeld hin. 
Endlich ging die Sonne unter 
und der graue Tag erschien.

Holder Engel, süßer Bengel, 
furchtbar liebes Trampeltier. 
Du hast Augen wie Sardellen, 
alle Ochsen gleichen Dir.

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